Stefan Zweig und sein Freundeskreis.

Vor 135 Jahren wurde Stefan Zweig geboren, genau am 28. November 1881. Und im kommenden Feber werden es 75 Jahre seit seinem Selbstmord im brasilianischen Exil im Jahr 1942. Stefan Zweig, einer der wichtigsten österreichischen Schriftsteller, Stefan Zweig, der die Schachnovelle, Ungeduld des Herzens oder Die Welt von Gestern geschrieben hat. Stefan Zweig, der viele Jahre in Salzburg gelebt hat und sich dann - als einer der ersten - dazu entschieden hat, Österreich angesichts der Bedrohung durch die Nationalsozialisten zu verlassen. Schon zuvor war Zweig ein eifriger Briefschreiber, hatte Kontakt zu zahlreichen Personen des öffentlichen Lebens wie die erhalten gebliebene Korrespondenz zeigt. Die Adressen seiner Freunde und Bekannten, aber auch von Verlagen und Institutionen sammelte Stefan Zweig sein Leben lang. In der brasilianischen Stadt Petrópolis nahe Rio de Janeiro lag im Nachlass des Schriftstellers ein Adressbüchlein aus den letzten Lebensjahren des Autors. Vor zwei Jahren erschien es, herausgegeben vom brasilianischen Verein „Casa Stefan Zweig“, als kommentierte Buchausgabe in Brasilien, jetzt liegt es auf Deutsch vor.

Würde Stefan Zweig in der Gegenwart leben, dann wäre er sicherlich perfekt vernetzt, würde die Sozialen Medien nutzen, wäre auf Twitter und Facebook aktiv. Doch Stefan Zweig lebte in der Vergangenheit, in einer "Welt von Gestern", auch wenn er seine letzten Lebensmonate in einem Land der Zukunft verbrachte, in Brasilien.
"Stefan Zweig und Brasilien ist eine viel ältere Geschichte als die meisten Leute glauben. Das fing schon 1924 an mit dem großen Interesse von Stefan Zweig, belegt durch Briefe, an Südamerika überhaupt. 1928 schrieb er seinem argentinischen Übersetzer Alfredo Cahn, er wolle Argentinien und Brasilien besuchen. 1932 schließlich schrieb ihm Cahn, er habe jetzt alles bereit – er wollte sogar mit dem Zeppelin fliegen –, und wir alle wissen, was dann am 1. Januar 1933 passiert ist. Der Brasilienbesuch, die Brasilienreise, wurde dann verschoben auf 1936", sagt die brasilianische Journalistin und Übersetzerin Kristina Michahelles. Zweigs erster Besuch sorgte für Aufregung, bereits am Hafen von Rio de Janeiro wurde er vom damaligen Außenminister erwartet, wenige Tage später vom diktatorisch regierenden Präsidenten Getúlio Vargas empfangen. Stefan Zweig war begeistert von dem Land und kaufte wenige Jahre später ein Haus in Petrópolis, einem Ort im Hinterland der Metropole Rio de Janeiro. Heute fährt man mit dem Auto rund eine Stunde Richtung Norden, durchquert kilometerlang die Armenviertel der Stadt, schlängelt sich kurvenreiche Straßen hinauf auf eine Höhe von rund 850 Meter. Kristina Michahelles: "Stefan Zweig hat lieber in Salzburg auf dem Kapuzinerberg statt in Wien gewohnt, er hat lieber in Bath auf einem Hügel gewohnt als in London, er hat auch lieber in Petrópolis zurückgezogen gelebt, in dieser alten Kaiserstadt. Er wollte nicht in dem Getümmel leben, in Rio, das war ihm zu heiß, zu viele Leute. Er hat Petrópolis gewählt, weil es auch so ein bisschen österreichisch anmutete damals."

Seit 2012 ist das Haus ein Museum, oder besser: Ein Ort der Erinnerung, eine Gedenkstätte des Exils. Und in diesem Haus war nach dem Selbstmord des Ehepaars Zweig auch das letzte Adressbuch gefunden worden. In der Einleitung der deutschen Ausgabe heißt es:
Zitat: Mit englischer Beschriftung und etwas größer als das bisherige Adressbuch wurde das Telephone Book in England oder in New York unmittelbar nach ihrer dortigen Ankunft gekauft. Deutliche Anzeichen sprechen dafür, dass dies das „Adressbuch des Exils“ ist, erforderlich geworden durch den plötzlichen Adressenwechsel einer großen Zahl von Freunden, die gerade dem „Blitzkrieg“ der Nazis entkommen waren. 

Das Herz der Buchausgabe ist das Faksimile des Adressbuches in Originalgröße. Handschrift, Schreibfehler, Ausstreichungen und Zusatzangaben machen es zu etwas ganz Besonderem, sagt Werner Hanak-Lettner vom Jüdischen Museum Wien, wo die deutsche Ausgabe des Buches vorgestellt wurde: "Es ist natürlich faszinierend das Netzwerk zu begreifen, es ist beim Durchblättern auch sehr berührend, wenn man diese Namen, die man kennt, die man nicht kennt, [liest] und dann schaut man auf die Adresse, und da steht „Hotel Sowieso“ und „Hotel Sowieso“, und man stellt sich sofort die Frage, wie es den Leuten gegangen ist." Stefan Zweig engagierte sich immens für die Rettung seiner Freunde und Bekannten, die es nicht aus Europa heraus geschafft hatten: "Viele haben sich an ihn gewandt, weil er berühmt war und weil er zuerst in London, dann in New York, dann in Brasilien war. Und das hat ihm ja auch zugesetzt, dass Leute erhofft haben, er kann sie retten. Er wusste, er kann natürlich einzelnen Leuten helfen, aber er kann sie nicht alle retten. Er konnte nicht einmal sich selber retten."

Von 1919 bis 1934 verlebte der Schriftsteller gemeinsam mit seiner ersten Frau Friderike Maria arbeitsreiche Jahre in Salzburg. Vom Gebäude des Stefan Zweig Centers in der Edmundsburg am Mönchsberg könnte man die, auf der anderen Salzachseite auf dem Kapuzinerberg gelegene Zweig-Villa, das Paschinger Schlössl, sehen, stünde nicht das Kapuzinerkloster dazwischen. Klemens Renoldner ist Leiter des Stefan Zweig Centers. Ihn interessieren neben den vielen, die in diesem Adressbüchlein aufgelistet wurden, aber auch jene, die nicht vorkommen, die verloren gegangen sind auf der Reise ins Exil. Die Auslassungen und Lücken. Es fehlt etwa der französische Literaturnobelpreisträger Romain Rolland, dessen politische Ansichten Zweig in seinen letzten Jahren ablehnte. "Diese Figur war im Leben von Zweig so wichtig: Dass er auch nach dieser politischen Entzweiung quasi mit diesem Menschen nichts mehr zu tun haben wollte, davon kann man nicht ausgehen. Diese Adresse, wo Rolland zuletzt gelebt hat, in Vézleay, die ist sehr einfach zu merken. Also vielleicht bedeutet das auch nichts Tieferes", meint Klemens Renoldner. Andere Namen scheinen aber bewusst nicht oder nicht mehr auf. "Hans Carossa, ein Autor, den er außerordentlich geschätzt hat, über den er mehrfach publiziert hat, der hat natürlich durch seine Zuwendung zu den Nationalsozialisten tatsächlich nichts mehr verloren in diesem Adressbuch. Das Gleiche trifft auch – interessant – auf Joseph Gregor zu, hier in Wien. Und eine Figur, die nicht vorkommt, ist Thomas Mann. Also es ist der Name eingetragen, es fehlt die Adresse. Dazu muss man wissen, dass die Beziehung zwischen Thomas Mann und Stefan Zweig nicht so eng war, das war eine sehr höfliche, gegenseitig respektierte Beziehung, aber das war keine Freundschaft."

Im dritten Teil des Buches finden sich die Biografien fast aller im Faksimile zu lesenden Namen. Auch Zweigs Köchin und sein Zahnarzt wurden eingetragen. Stefan Zweig und sein Freundeskreis - sein letztes Adressbuch aus den Jahren 1940 bis 1942 ist damit ein Zeitdokument der speziellen Art.
Zitat: Der Beginn der Aufzeichnungen für die Autobiografie liegt in zeitlicher Nähe zu den ersten Eintragungen im Telephone Book. Als Brüder, nicht als Zwillinge, nahmen sie beide im Jahr 1940 ihren Anfang, entstanden in derselben Bedrängnis und dem gleichen Gefühl eines unwiederbringlichen Verlusts. Mit unterschiedlichen Ebenen, Verfahren und Verwendungen sind sie Überbleibsel des Schiffbruchs der „Welt von gestern“. 
So schreibt einer der Herausgeber in der Einleitung.

Die Auswahl und die Lebenswege jener Freunde, die Zweig in seinen letzten Exiljahren in Brasilien begleitet haben, lassen auch auf den Schriftsteller selbst schließen, auf seine Abkehr von Europa und Hinwendung zur Neuen Welt. Ein  faszinierendes Nachschlagewerk als weiteres Puzzleteil des Lebens eines der wichtigsten österreichischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Info: Stefan Zweig und sein Freundeskreis - Sein letztes Adressbuch 1940-1942 ist bei Hentrich&Hentrich (Berlin 2016) erschienen, aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt wurde es von Stephan Krier.

Casa Stefan Zweig, Petrópolis Brasilien
Stefan Zweig Centre, Salzburg