Die Zukunft der Saudade. Der neue Fado?

Radiokolleg Musikviertelstunde, 27. März 2014

Amália Rodrigues: sie ist wohl die bekannteste Fado-Sängerin Portugals. Ohne sie gäbe es keinen Fado, sagen viele. Dennoch war der so typisch portugiesische Gesangsstil in den späten Siebzigerjahren so gut wie totgesagt, heute erblüht er wieder zu neuem Leben. „Fado ist nur sinnvoll, wenn jede Generation ihn so singt, dass er von der nächsten verstanden wird“, sagte einmal der der heute 74-jährige Fadista Carlos do Carmo. Seit 2011 gehört der Fado zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO. Junge Musiker beschäftigen sich mit der alten Tradition, bewerten sie neu, verbinden sie mit anderen Musikstilen – Jazz, Hip-Hop, Pop, Soul, Elektronik. Der Fado erfindet sich ständig neu und bleibt dennoch der Alte

"Te juro", ich schwöre, ist ein Fado, den der Komponist Alain Oulman für die berühmte Fadosängerin Amália Rodrigues geschrieben hatte, den sie aber nie veröffentlichte. Gesungen hat ihn Camané, einer der ganz großen neuen Fadistas. Geboren 1966, sang er schon als Kind Fado und gewann damals den größten Fado-Wettbewerb des Landes, mit 12 nahm er seine erste Platte auf. "Die neue Amália ist schlussendlich ein Mann", schrieb ein Journalist vor einigen Jahren. Neben Camané gibt es viele andere klingende Namen: Mariza etwa, Ana Moura, Mísia und Carminho. Sie haben den Fado aus den kleinen Tavernen geholt und ihn ins gleißendhelle Schweinwerferlicht großer Bühnen gestellt.

Manuel Halpern ist Musikjournalist in Lissabon, er hat kürzlich ein Buch mit dem Titel "O futuro da saudade", die Zukunft der Sehnsucht, geschrieben:
"Wir treffen täglich auf die Zukunft, wenn wir in die Fado-Lokale gehen, und entdecken neue Gesichter, neue Stimmen. Und die Zukunft liegt auch in den vielen neuen Interpretationen dieser Musik. Es ist so: Damit der Fado tatsächlich weiterlebt, weiter ein Teil unseres Lebens bleibt,  darf man ihn nicht isolieren, man darf ihn nicht wegsperren, als wäre er ein wertvoller Edelstein, den keiner angreifen darf. Er muss eine lebendige Musikform sein dürfen, ja, lebendig, mit neuen Stimmen, neuen Texten, neuen Melodien. Und das passiert glücklicherweise in der jungen Generation, die den Fado neu erfindet."
Der Fado wird neu interpretiert, anders instrumentiert und überraschend bearbeitet.
"Besonders interessant sind ja die, die einen ganz eindeutigen Ursprung haben. Zum Beispiel Maria Ana Borbone, die eine tiefe Verbindung zur Klassik hat, und das merkt man auch bei dem, was sie gemeinsam mit dem Musiker Ricardo Rocha macht, der ist ja einer der besten Gitarristen, die wir derzeit in Portugal haben. Das ist ein barocker Fado, und man hört den Einfluss heraus, den die Musik von Johann Sebastian Bach auf ihre Musik hat. Und es gibt andere Fälle: bei denen nähert sich der Fado mehr dem Jazz an,  oder nehmen wir „A naifa“, die vermischen Fado mit elektronischer Musik und guten Texten."

A Naifa - der Name ist an das englische Wort "knife", Messer, angelehnt - machen Musik irgendwo zwischen Elektronik, Punk und eben Fado. Ähnliches gab es 2004 auch auf der CD Chillfado zu hören. Elektronische Musik trifft auf portugiesische Gitarre und Fado-Sampler. Ein Miteinander musikalischer Welten und Stile, ein Vergleich mit der französischen Gruppe Gotan Projekt drängt sich auf, die ja Tango mit elektronischer Musik verquickten. Bei Chillfado ist es eben der Fado.Doch auch der Tango hat Einfluss auf den portugiesischen Fado. Die Instrumente beider Stile passen gut zueinander, die Rhythmen lassen sich ineinander flechten. Cristina Branco singt beispielsweise "Nao há só Tangos em Paris", Tango gibt es nicht nur in Paris.

Auf der einen Seite steht also der traditionelle Fado, auch wenn viele Interpreten mit dem Wort "traditionell" nicht ganz glücklich sind - zu schnell wird diese Art von Fado mit einer konservativen und einseitig patriotischen Einstellung assoziiert. Dort geht es vor allem um die melodischen und harmonischen Formen, die es seit vielen Generationen gibt. Eingebettet in ein musikalisches Ensemble, das nur zögerlich mit anderen Instrumenten, wie Kontrabass oder Schlagzeug erweitert wird. Doch auf der anderen Seite wird viel experimentiert und ausprobiert.

Madredeus war eine der ersten Musikgruppen Portugals, die in den späten 1980er Jahren so genannte Weltmusik produzierte. Bekannt ist etwa der Auftritt in Wim Wenders Film "Lisbon Story". Das Lied heißt "Alfama" und ist weit davon entfernt, ein Fado zu sein. Auch wenn die Band im dazugehörigen Musikvideo in der legendären Lissabonner Straßenbahn durch die engen Gassen fährt, die portugiesische Gitarre zu hören ist und die Stimme der Sängerin Teresa Salgueiro an Fado denken lässt. Im Ausland wurde Madredeus als besonders portugiesisch verstanden, als Botschafter einer Kultur, die jahrzehntelang von einem Diktator hinter verschlossenen Grenzen versteckt wurde. Erst mit der Nelkenrevolution im Jahr 1974 begann sich das Land langsam zu öffnen.

Heute gehört Portugal tatsächlich zu Europa, auch wenn es für viele Mitteleuropäer noch immer sehr weit entfernt ist. Die neuen Fadistas produzieren ihre Platten im Ausland, das habe einen großen Vorteil, sagt der Gitarrist der Gruppe Deolinda, Luis Martins:
"Man muss sich nur die Veränderungen anschauen, wenn die Platten im Ausland  produziert werden. Da gibt es einen klaren Wandel in der Musik. Wenn zum Beispiel Jaques Morelenaum Mariza produziert, dann ist das ein anderer Fado. Oder Larry Klein, Produzent von Ana Moura – da gibt es radikale Veränderungen im Genre."
Bei Deolinda selbst ist der Fado immer ein Thema, auch wenn keiner der Bandmitglieder die portugiesische Gitarre beherrscht:
"Ich denke, wir suchen und  finden diese symbolischen Elemente, die jeder sofort mit der Sprache des Fado verbindet, und dann versuchen wir sie sozusagen zu modernisieren. Verändern sie auch dadurch, dass wir andere Instrumente verwenden, bei uns spielt keiner die portugiesische Gitarre – und das klingt dann auch gleich ganz anders. Und dann vermischen wir das noch mit anderen musikalischen Sprachen, nicht nur mit der städtischen Musik, sondern zum Beispiel auch mit traditioneller portugiesischer Volksmusik, und da gibt es jede Menge zu entdecken. Etwa im Minho oder an der Algarve. Aber wir verwenden auch internationale Songs, die wir gerne hören und mögen. In unserer Musik gibt es auch Pop und Rock – genau das sind wir, diese bunte Mischung."
Und die Sängerin Ana Bacalhau fügt hinzu:
"Unsere Musik ist nah am Fado. Tatsächlich ist es so, dass wir vieles aus dem typischen Fado-Universum verwenden. Sogar bei der Kleidung, die Fadistas tragen. Die Themen, die besungen werden. Wir imitieren diese spezielle Tonalität, verwenden außerdem auch ein relativ kleines Akustik-Ensemble. Ganz wichtig ist auch der Einfluss des Fado auf unsere Texte, die Geschichte, die erzählt wird. Und dann ist da noch die Interpretation, nicht nur im Gesang, sondern auch in der Musik."
Ein Song, der mit den Elementen des Fado spielt, ist "O Fado nao é mau", der Fado ist nicht schlecht. Der Text heißt übersetzt Folgendes: "Ach, ich habe geschworen, niemals wieder Fado zu singen, denn der Fado tut nicht gut, er verdirbt die Seele. Doch ich habe das Versprechen bereits wieder gebrochen. Und das ist gut, denn der Fado muss raus, er muss gesungen werden und wer ihn singt, wird sich besser fühlen!"

Musik zum Nachhören:

"Te juro" - gesungen von Camané
"Señorita" - gesungen von A Naifa
"Ant° Marinheiro" - auf der CD Chillfado

"Não há só Tangos em Paris" - gesungen von Cristina Branco
"Alfama" - gesungen von Madredeus
"O Fado não é mau" - gesungen von Deolinda