Mein Arztroman. Ein Lebensbericht


Kontext, 14. Februar 2014

Werner Vogt - Arzt, Publizist, kritischer Beobachter der österreichischen Gesundheits- und sonstigen Politik - hat seine Autobiografie vorgelegt. Am 3. Februar 2014 ist er 76 Jahre alt geworden. Unter dem Titel Mein Arztroman. Ein Lebensbericht erfährt der Leser viele Details aus der Kindheit und Jugend des nimmermüden und engagierten Vogt, außerdem wie er zum Medizinstudium kam und wohin es ihn dann verschlagen hat. Es sind 300 Seiten österreichische Zeitgeschichte aus einer sehr persönlichen Perspektive, garniert mit Ausschnitten aus in verschiedenen Zeitungen veröffentlichten Kommentaren und Polemiken.
 
Es ist eine fast unbeschwerte Kindheit, dort in Landeck in Tirol, von der Werner Vogt zunächst erzählt. Mit viel Witz und ohne Groll erinnert er sich an wilde Streiche, an die Mutter und den Bruder, an den nur in den Gesprächen der Frauen präsenten Vater, an die Kriegsjahre:
Zitat: Ertönte die Sirene, mussten wir alle über die Landecker Sannabrücke hinüber zu den in den Fels gehauenen Luftschutzstollen sausen. […] Ich hielt die Aktion Fliegeralarm für eine Art Wettrennen, ein Spiel. Ich liebte das Zusammensitzen mit den Frauen und den vielen Kindern, das aufgeregte Geschwätz, das Warten auf die Entwarnung. Unter „Bombardierung“, wozu es nie kam, konnte ich mir nichts vorstellen.
Der Krieg ging vorbei, der Vater kam zurück, doch die wirklich wichtigen Bezugspersonen für den jungen Vogt waren die Großeltern. Bei ihnen in Zams war er am liebsten, so vertraut und nahe hat er sich nur bei den beiden gefühlt. Dort gab es einen Stadel voll Heu und eine Werkstatt voller Werkzeuge und eine Obstpresse, aus der der Süßmost rann. Vom Großvater, einem leidenschaftlichen Hinhörer, habe er das Zuhören gelernt, schreibt Werner Vogt, an der Großmutter liebte er die leise Frömmigkeit und erinnert sich an ihr hausmedizinisches Wissen:
Zitat: Großmutter Böck war innerfamiliär die Gesundheitsexpertin. […] Es gab die Zwiebelsäckchen hinters Ohr bei Ohrenschmerzen und bei hohem Fieber die Fußwickel, ab 39 Grad den Ganzkörperwickel. Das nackte Kind im nassen Leintuch: grausam, aber von großer Wirkung. Wird auch heute noch auf Intensivstationen angewandt, bei Schädelhirntraume mit Temperaturentgleisungen.

Der junge Werner Vogt zeigte schon bald ein Talent - fürs Lernen und fürs Reden. Das brachte ihm zwar meist gute Noten in der Schule, allerdings auch den einen oder anderen Verweis. Und so absolvierte er dann auch mühelos die Lehrerausbildung in Feldkirch, seine pädagogischen Ideen und Methoden erzürnten aber bald den Schulinspektor, der ihn in den Bregenzer Wald strafversetzte. Ein herrliches Jahr, erinnert sich Vogt, der den Unterricht aufgrund des miserablen Zustandes des Schulhauses, kurzerhand in den Wald verlegte. Der Konflikt mit dem Schulinspektor wurde zwar beigelegt, doch Vogt wollte nach Wien und studieren:
Meine Beziehungen zu den lieben, von mir geliebten Menschen […] brach ich ab. Das war nicht einfach, war eigentlich unmenschlich. […] Ich hätte mich „für die Wissenschaft“ entschieden, log ich großspurig vor mich hin. Dabei wusste ich nicht einmal, was ich inskribieren sollte und wie man das macht.
Ein Zufall wollte es, dass Vogt schließlich Medizin studierte. Er hatte gedacht, dass sich nur die Reichen ein Medizinstudium leisten könnten, doch nun erfuhr er, dass das Leichen-Sezieren gratis wäre, ein Medizinstudium würde also genauso viel kosten wie das von ihm inskribierte Psychologiestudium. Also sattelte er um:
Zitat: Diese entscheidende und gewaltige Umwälzung in meinem Leben fand in meinem immer noch dahinfrömmelnden Tagebuch am 3. März 1959 eine lapidare Eintragung: „Heute die erste Medizinvorlesung besucht. Es war gut."
Was folgte, war ein turbulentes Studentenleben zwischen Prüfungen, Familiengründung und beginnendem, auch politischen Engagement. Vogt wurde Sekretär der Hochschülerschaft, publizierte bereits hier und da, und er engagierte sich sogar im Cartellverband. Allerdings nur kurz:
Zitat: Nach meinem Lob für den Demokraten Kreisky und einer Polemik gegen den kreuzkatholischen Seilschafter Schambeck, einen Rechtsgelehrten der juridischen Fakultät Wien, […], wurde ich „cum infamia“ aus dem Cartellverband hinausgeschmissen. Ich hatte mich aus dem Männerbund hinausgeschrieben.
Wissenschaftspflege und ein kritischer, weltoffener Katholizismus, das hatte Vogt am Cartellverband gefallen. 

Fromm war die Großmutter, fromm war auch der kleine Werner, doch im Lauf der Jahre gewöhnte sich Vogt den Glauben ab, bei all dem Unrecht, dem Missbrauch, all dem Verrat, den er im Laufe seiner Karriere als Arzt erlebt und bekämpft hatte. In den frühen 1980er Jahren trat er aus der Kirche aus.
Zitat: Der Kirchenaustritt ist bald vollzogen. Aber den jahrzehntelang eingeübten und anerzogenen Katholizismus wird man schwer los. Ich bin noch lange Zeit mit einem still gemurmelten Morgengebet aufgewacht, ertappte mich bei Anfällen von Gewissenserforschung, auch wenn ich mich mit dem Kopf längst vom üblen Himmel-Hölle-Prinzip losgemacht hatte, das gefinkelte Sündenregister in mir gelöscht glaubte und die Dreifaltigkeit klarerweise für ein seltsames Konstrukt hielt. Auch wenn man vom Glauben nicht mehr beherrscht wird, bleiben Reste von Aberglauben. 

Vogts medizin-kritisches Engagement zeigte sich in der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin in Wien und als Mitinitiator des Volksbegehrens Sozialstaat Österreich. In der Öffentlichkeit bekannt wurde er durch seine gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Heinrich Gross, der persönlich an der Kinder-Euthanasie in der Klinik am Spiegelgrund beteiligt gewesen war. Vogt war immer ein Kämpfer für die Gerechtigkeit:
Zitat: Immer geht es den Schwächsten an den Kragen: Den Arbeitslosen neiden die Gutverdiener das Arbeitslosengeld, den gebrechlichen Alten neiden die fitten Gesunden das Pflegegeld und den chronisch Kranken neiden die Tüchtigen die Dispens von der Arbeitsfron. Es herrscht ein vergiftetes öffentliches Klima gegenüber Kranken, Alten, Behinderten. Es gehört zu den wichtigsten ärztlichen Aufgaben, den Neid und den Hass auf die Hilfsbedürftigen zu bekämpfen. Das ist Sozialmedizin im politischen Alltag.
Wortgewaltig, präzise und sehr direkt prangert Vogt auch in diesem Buch die Zustände im österreichischen Gesundheitssystem an. Er ist ein harter Polemiker, emphatisch, stur und stets ehrlich. Er gibt sich nicht zufrieden. Mein Arztroman. Ein Lebensbericht – eine große Leseempfehlung.

Werner Vogt Mein Arztroman. Ein Lebensbericht (Edition Steinbauer, 2013)