Der menschliche Mediziner.



Dimensionen, 19. Februar 2014

Zuhören, nachfragen, erzählen - brauchen Ärzte eine narrative Kompetenz? Und inwieweit kann die Narrationsforschung dazu beitragen, die Sprachlosigkeit zwischen den Disziplinen zu überwinden?

Alexander Kiss: "Die Fähigkeit von Medizinern ist nicht, dass sie mit allen unglaublich empathisch sind oder so, sondern dass sie die Fähigkeit haben, sich ein Stück weit auf den jeweiligen individuellen Patienten einzustellen. Es gibt Patienten, die möchten einen Arzt haben, der wie ein Mechaniker ist, sie fahren den Körper in die Reparaturwerkstätte, und sie wollen mit ihm nicht irgendwelche psychosozialen Sachen austauschen. Und andere wollen das sehr wohl, und die Fähigkeit, sich auf sehr unterschiedliche Leute einzustellen, das halte ich für eine Kompetenz.
 
Hermann Toplak: "Wenn wir Patienten gut betreuen wollen, müssen wir verstehen, wie und warum Menschen etwas tun, was die Dinge sind, die sie prägen im Hintergrund, die sie motivieren Dinge zu tun, weil dann und nur dann verstehe ich auch die Sprache des Patienten besser. Ich kann mir aus dem, was mir der Patient erklärt, mehr ableiten. Auf der anderen Seite weiß ich dann, mit welcher Sprache ich den Patienten dann auch vielleicht wieder treffen werde, bzw. ihm helfen werde, das, was er vielleicht vorhat oder noch gar nicht vorhat, letztlich zu tun."

Spricht der Arzt mit dem Patienten über dessen Diagnose, bleibt beim Patienten oft ein Gefühl der Überforderung. Er versteht die Sprache des Mediziners nicht. Laut einer Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts aus dem Jahr 2012 tut sich ein Viertel der Österreicher mit medizinischen Informationen schwer. Stress, Angst, Ungeduld oder gar Desinteresse lassen die Gedanken während des Gesprächs abschweifen, die Konzentration lässt nach.
Spricht der Patient mit dem Arzt über seine Probleme, bleibt beim Arzt oft ein Gefühl der Ohnmacht. Er kann mit der Geschichte seines Patienten nichts anfangen, ihm fehlen die technischen und kommunikativen Mittel, um diesem Menschen zu helfen. Was macht denn nun einen guten Mediziner aus? Hermann Toplak, Internist an der Universitätsklinik Graz:
"Er muss viele Fähigkeiten besitzen. Einerseits muss er möglichst viele komplizierte Dinge verstehen lernen, andererseits muss er genau wieder komplizierte Dinge einfach rüberbringen, sodass es auch der Patient verstehen kann. Nur dann kann man letztlich die Kette schließen vom Wissen bis zum Tun des Patienten."
Alexander Kiss, Chefarzt für Psychosomatik am Universitätsspital Basel, formuliert es so:
"Die Basis ist immer sein fachliches Wissen, also das ist das Fundament. Und das ist auch das Problem, dass viele Leute, die so den Geist und Menschlichkeit hineinbringen wollen, vergessen, dass die Basis immer das fachliche Wissen ist. Das Menschliche ist, glaube ich, auch sehr unterschiedlich, auch in welcher Fachrichtung man ist. Wenn ich weiß, es gibt einen Chirurgen, der kann eine ganz spezielle Technik und die anderen können das nicht, und ich muss einmal operiert werden und das Problem ist gelöst, dann werde ich diese fachliche Kompetenz extrem hoch hängen und seine menschliche, da werde ich sehr verzeihlich sein. Wenn ich eine chronische Krankheit habe, die nicht heilbar ist – und das ist fast die gesamte innere Medizin – dann möchte ich einen Arzt haben, der fachlich kompetent ist, das ist keine Frage, aber zusätzlich eine menschliche oder psychosoziale oder wie immer man das nennen möchte, der einfach nicht nur den Körper sieht, sondern den Mensch, der an der Krankheit leidet, den Leidenden." 

In der Praxis erleben Patienten ihre Ärzte jedoch oft als wenig kommunikativ, bei der Visite ist kaum Zeit, immer wartet bereits der nächste Patient im Wartezimmer, müssen Formulare ausgefüllt und administrative Tätigkeiten erledigt werden. Zum Teil habe das auch noch immer mit einem Menschenbild zu tun, das naturwissenschaftlich reduktionistisch geprägt ist, erklärt Josef Egger. Er ist Professor für Biopsychosoziale Medizin in Graz:
"Die Grundidee dieser eher einseitig orientierten naturwissenschaftlichen Medizin ist ja, dass der Körper als komplexe Maschine verstanden werden will und auch entsprechend repariert werden will. Die Reparaturmedizin ist also das Basismodell dieser Medizin. Das ist aber jetzt nicht nur eine Sache, die von Ärzten lange Zeit getragen und mitgetragen wurde, nach wie vor möchte eine Großteil der Patientenschaft, wenn sie in die Medizin kommen und ein Leid vorbringen, repariert werden. Also es ist nicht so, dass das nur eine einseitige Geschichte ist. Was sich allerdings herausgestellt hat über die Jahrzehnte – und die Datenmenge ist dafür enorm gut – ist, dass wir insbesondere bei chronischen Erkrankungen mit diesem Reparaturmodell viel zu kurz greifen, und dass wir bei einer Gruppe von Störungen, die wir organisch nicht ausreichend erklären können, die aber sehr viel Leid verursachen, den sogenannten somatoformen Störungen, also körperlich nicht ausreichend erklärbaren Störungen, mit diesem Modell nicht wirklich weiter kommen." 

Es geht also um andere, zusätzliche Kompetenzen: zuhören, sich in jemanden hineindenken, fördern, begleiten. Mittlerweile sind soziale Faktoren maßgeblich am Entstehen von Krankheiten beteiligt: Stress, Druck am Arbeitsplatz, Probleme mit dem Partner. Der Patient leide dann etwa unter Schlafstörungen, Magendrücken oder Übergewicht, sagt Hermann Toplak:
"Wir sehen, dass gewisse Laborwerte zB verändert sind, wie das bei den Blutfetten oder beim Diabetes der Fall ist. Der Patient kommt aber mit seinem Leben bei der Tür herein und hat daran nur sehr wenig Interesse und schon gar kein Interesse, sein Leben in irgendeiner Form anzupassen, zu verändern." 

Der menschliche Mediziner muss sich damit wohl auch in Zukunft verstärkt auseinandersetzen. Die Grenzen zwischen den Disziplinen verwischen - zwischen Natur und Kultur, zwischen Biologie und Gesellschaft. Es ist die Grenze zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, zwischen Körper und Geist. Hermann Toplak:
"Das Eine ist jetzt zB so, dass in der Universität, wo die Forschung stark im Vordergrund steht, wo viele Arbeiten dann auch in großen Zeitschriften publiziert werden, an der Universität ist es meistens wichtiger, diesen naturwissenschaftlichen Bereich zu beachten, und so hat es sich in den letzten Jahren so entwickelt, dass wir jetzt in diesem Bereich eine sogenannte personalisierte Medizin bekommen haben, dass wir jetzt nicht nur drauf schauen, hat der einen erhöhten Blutdruck oder erhöhte Blutfette, sondern dass wir das gesamte Bild des Patienten anschauen, aber immer von der naturwissenschaftlichen Seite – alles, was man halt messen kann im Blut. Auf der anderen Seite gibt es eine personenzentrierte Medizin, die sich direkt an den Menschen wendet – das ist das, was Sie als geisteswissenschaftlich bezeichnen würden – und nur wenn man beide Aspekte gut abdecken kann, kann man erfahrungsgemäß einem Patienten wirklich helfen."
Man müsse verstehen, was der Patient selbst über sein Leiden denkt, um dann gemeinsam eine Strategie, also eine Therapie zu entwickeln, sagt Alexander Kiss:
"Jeder Patient oder jeder Mensch, der Beschwerden hat, denkt sich irgendwie: „Was ist das überhaupt, was ich habe, was ist die Ursache von dem, was ich habe, welche Konsequenzen hat das, kann ich das irgendwie kontrollieren“. Banal. Und ich glaube, wenn man diese Geschichten – das sind oft nur Teilgeschichten – auf den Tisch bekommt, dann weiß man ein bisschen die Landkarte für diesen Patienten. Es haben tausend Patienten Bauchschmerzen, aber die Sinnmachung, woher das kommt, wie das zusammenhängt, da gibt es tausend Geschichten. Und die sind nicht banal, weil die beeinflussen, wie der Patient sich verhält und was der Arzt damit macht. Und solche Geschichten muss man explorieren." 

Die Verbindung, die zwischen Erzähler und Zuhörer entsteht, schafft Solidarität, Verständnis und Empathie.
Geschichten, also Narrationen, begleiten uns ständig: wir denken in Geschichten, wir reden in Geschichten, wir erinnern uns anhand von Geschichten. Wir erleben etwas, denken darüber nach und geben unsere Geschichten dann mündlich oder schriftlich weiter. Wir werten und kategorisieren, verwerfen und ordnen. So verstehen wir, warum etwas wann passiert, wir entwickeln Routinen und antizipieren die Zukunft.
Kay Mühlmann von der Donau-Universität Krems beschäftigt sich mit der Erforschung von Narrationen. Im Bereich der Medizin ist es nun also meist so, dass der Patient seine Geschichte erzählt. Doch müssen auch Ärzte Geschichtenerzähler sein?
"Sie müssen gute Zuhörer sein und es wäre gut, wenn sie auch Geschichtenerzähler sein könnten, weil sie dadurch einfach eine andere Beziehung zu ihren Patienten aufbauen können. Geschichten wirken ja dadurch, dass man ein gemeinsames Situationsmodell aufbaut, das heißt, die einzelnen Schemata oder die Denkstrukturen werden einfach von einem zum anderen durch Geschichten übergeben und durch das Erzählen von Geschichten gleichen sich die Lebenswelten aneinander an."
Die Narrationsforschung ist eine junge Wissenschaft: sie untersucht Erzählformen, ist vor allem in der Literaturwissenschaft zuhause. Doch auch die Wirtschaft setzt immer stärker auf die Macht der Geschichten, im Management und in der unternehmensinternen Kommunikation. Und auch in der Medizin können die Wirkmechanismen, die hinter den Geschichten stecken, genutzt werden:
"Der Arzt und der Patient haben eine gemeinsame Geschichte, die anfängt mit der Behandlung und mit dem Ende der Behandlung wieder aufhört. Im Sinne ist die Wirkung ähnlich wie in der Psychotherapie, wo man hergeht und Geschichten, die die Patienten einfach haben, durch Beziehung und durch das Entstehen einer eigenen Geschichte – der Beziehungsgeschichte zwischen Therapeut und Patient oder Arzt und Patient – anhand dieser Beziehungsgeschichte die alten Geschichten aufrollt und neu interpretiert. So ähnlich ist es ja auch in der Medizin, wo diese Beziehung auch einen sehr großen therapeutischen Wert hat und die sich auch durch eine Geschichte darstellt, durch die gemeinsame Geschichte." 

Auch Yvonne Wübben, Literaturwissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum und Ärztin der Psychiatrie, allerdings nicht praktizierend, interessiert sich für Erzählungen. Eines ihrer Forschungsgebiete ist die Beziehung zwischen Literatur und Medizin, sie untersucht medizinische Lehrbücher aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Und da geht es ihr vor allem um die Bedeutung von Fallerzählungen, die den damaligen Studierenden helfen sollten, Details besser zu memorieren und die Krankheit in all ihren Dimensionen zu verstehen. Umgelegt auf heute, meint Yvonne Wübben:
"Man kann jetzt hingehen und diese Kommunikation insgesamt als eine Erzählung begreifen, diese Kommunikation zwischen Arzt und Patient, und wir Literaturwissenschaftler würden dann Erzählmuster unterscheiden, das sind gröbere Strukturen einer Erzählung, die bestimmten Vorgaben folgen. Das können gattungsspezifische Vorgaben sein, wie die Tragödie, die dadurch definiert ist, dass es einen schlechten Ausgang gibt. Es können Heldengeschichten sein, in denen es meistens einen Kampf gibt, also Arzt und Patient gegen die Krankheit und am Ende ist idealerweise die Überwindung von Hindernissen, von Feinden, von Krankheiten, mit einem guten Ausgang. Ich könnte mir vorstellen, das wären so genrespezifische Aspekte der Heldengeschichte, die in der Darstellung einer Arzt-Patient-Kommunikation eine Rolle spielen könnten, wie man gemeinsam die Krankheit – ich sage jetzt nicht besiegt, weil das klingt wahrscheinlich zu pathetisch – aber, wie man mit ihr umgeht und wie man zu einem positiven Ende kommt."
Erzählungen helfen uns also dabei, die Wirklichkeit besser zu verstehen. Werden sie mündlich erzählt, gibt es außerdem neben dem Inhalt zahlreiche weitere Ebenen.
"Das mündliche Gespräch kann natürlich eine ganze Reihe von Dingen erfassen, die in der Schriftkommunikation nicht erfasst werden, dazu gehört die Mimik, die Gestik, der Tonfall, der Ton der Stimme, wann Pausen entstehen, wann schnell gesprochen wird, mit welcher Affektlage gesprochen wird. All so etwas sind Dinge, die im mündlichen Gespräch vielleicht stärker eine Rolle spielen und die in der Verschriftung nicht so auftreten oder wenn, dann müssten sie eben extra notiert werden, das heißt, man muss sie in Worte wiederum fassen und darstellen und beschreiben."
Für Ärzte heißt es im Gespräch mit dem Patienten also dessen Geschichte zu verstehen, um herauszufiltern, was tatsächlich hinter einer Krankheit steckt.
"Ich denke aber, dass es zu Recht eben unterschiedliche Ansätze im breiten Spektrum der Medizin gibt und ich denke auch, dass das nicht nur in der Psychotherapie und der psychosozialen Medizin wichtig sein sollte, sondern dass man auch im Klinikalltag, also Internisten und möglicherweise auch Chirurgen, trainieren kann stärker über die Kommunikationsprozesse zu reflektieren, wie sie stattfinden und in welchen Bereichen. Ob man dazu jetzt das Instrumentarium der Erzählanalyse braucht und in welchem Maße, müsste man in der Praxis sehen. Das ist ja erstmal unabhängig davon, wie Kommunikation funktioniert. Ich glaube nicht, dass jetzt jeder Arzt eine ganz grundlegende literaturtheoretische Ausbildung braucht, weil wir es ja mit komplexen Erzählungen zu tun haben und in der Regel sind es ja im Krankenhaus nicht hochkomplexe Erzählungen wie in der Literatur. Aber ich denke schon, dass der Blick für die Sprache und für die Geformtheit der Sprache auch im ärztlichen Kommunikationsprozess wichtig sein kann, und dass man den trainieren sollte." 

Wie sieht es nun aus in  der Praxis, im Medizinstudium?
In der Ausbildung am Universitätsspital in Basel in der Schweiz wird der Erzählung durchaus Raum gegeben. Das nennt sich narrative-based medicine. Die Studierenden sollen eine narrative Kompetenz erwerben, sagt Chefarzt Alexander Kiss:
"Im ersten Jahr haben wir so eine Serie von Filmen, Spielfilmen, die etwas mit Medizin zu tun haben und die laufen immer so ab: Es gibt eine kurze Einführung, dann wird der Film gezeigt und dann versuchen wir die Studenten anzuregen, über den Film zu diskutieren. Und da merkt man, dass derselbe Film bei unterschiedlichen Leuten sehr unterschiedliche Resonanz hervorruft. Das ist eine Banalität, aber in der Medizin, wo alles objektiviert ist, kann man sagen, die Leidensgeschichte ist etwas Individuelles, was der Patient erzählt und was der Film erzählt und wie der Zuhörer das erlebt. Und dann gibt es noch einen Input von Medizinern, der den medizinischen Aspekt herausarbeitet. Aber was genauso wichtig ist, dass ein Filmjournalist sagt, wie ist der Film gemacht, wie manipuliert er, wie erzählt er, welche Farben verwendet er, wie ist die Musik – und das Ganze mit dem Hinblick, also als Lernziel: Wir lernen in der Medizin, dass alles eindeutig ist und das ist total wichtig, aber Patientengeschichten, Narrationen sind unglaublich vielfältig und nicht so eindeutig. Und sich auf diese Nicht-Eindeutigkeit der Erzählung von Filmen oder von Dichtern einzulassen, finde ich eine interessante Sache."
Später im Studium setzen sich die Studierenden mit literarischen Texten auseinander, es gibt Lesungen von Schriftstellern mit anschließender Diskussion. Gegen Ende des Studiums schreiben die Studierenden über schwierige Begegnungen mit Patienten, hinterfragen, reflektieren und analysieren ihr eigenes Verhalten und das des Patienten.
"In einem ärztlichen Gespräch gibt es Bereiche, wo der Arzt führt. Ganz klar: der Zeitpunkt, der Fokus, die Exploration, Intensität usw. Was Ärzte viel zu wenig machen ist, ganz kurz, für ein zwei Minuten, einmal den Patienten führen zu lassen, aber immer unter seiner Kontrolle. Das sind banale Techniken, das sind Wiederholungen, Zusammenfassungen, Pausen, Emotionen ansprechen. Das sind alles Dinge, damit der Patient erzählen kann. Viele Ärzte fürchten sich, weil sie das Gefühl haben, sie verlieren die Kontrolle und das Zeitmanagement geht nicht, aber sie haben immer die Möglichkeit zu sagen „Moment, habe ich das richtig verstanden: Das und das bewegt Sie … Ich würde Ihnen jetzt vorschlagen, die zwei Sachen kann ich heute aufnehmen und auf meiner Agenda stehen diese und diese Punkte … Ist das für Sie in Ordnung?“ Und die meisten Patienten lassen sich auf so eine gemeinsame Agenda ein. Und ich glaube, da ist es enorm wichtig, immer so Geschichten von Patienten, was jetzt momentan wichtig für sie ist, mit hinein zu holen. Nicht dass man sie erfüllt, wie im Supermarkt, wo sie alles haben können, sondern um mit ihnen zu verhandeln, was geht heute und was geht heute nicht bei der Konsultation." 
Zuhören und das Wesentliche herausfiltern, das ist die große Kunst. Die Geschichte hinter der Geschichte entdecken.

Auch in der Ausbildung an der Medizinischen Universität Graz geht es in zahlreichen Seminaren und Übungen ums Erzählen, sagt Josef Egger:
"In der Ausbildung versuchen wir den Studierenden beizubringen und nahezubringen, dass Dinge, auch wenn sie nicht gesagt sind, auf den Tisch gebracht werden können, indem man eben nachfragt. Indem man schaut, was der Patient für Ideen, Vorstellungen, Sorgen, Wünsche mitbringt. Es ist also sehr wichtig hier kommunikativ zu sein, also das Wort einzusetzen. Allerdings ist der Umgang mit dem Wort, also diese kommunikative Kompetenz nicht einfach so, dass man sie hat oder nicht hat, oder dass man relativ gut ausgestattet ins Studium kommt und das nützt. Es kann jeder profitieren, wenn er eine entsprechende kommunikative Ausbildung hat, weil er dann diese Grundlagen, wie man das Gespräch als Wirkfaktor nützen kann, nicht nur versteht, sondern auch beherrscht."
Am Beginn des Studiums stehen Rollenspiele, in denen alltägliche Situationen geübt werden, später werden die Situationen immer komplexer, da geht es etwa darum, wie ein Student ein Aufklärungsgespräch über eine besonders heikle Diagnose führt:
"Wo er zB draufkommt, Aufklärung ist kein einmaliger Vorgang, es reicht nicht, ihm einen Zettel in die Hand zu drücken, sondern es wird notwendig sein zu schauen, was hat denn der Patient von dieser Information verstanden, was kann er intellektuell auflösen, und was lässt er emotional überhaupt an sich heran, hat er die Tragweite verstanden worum es hier geht. Wie kann man denn das kommunikativ auflösen? Wie geht es, dass die Aufklärung über mehrere Einheiten hinweg realisiert wird? Manche Menschen sind am Anfang überfordert, können die Tragweite nicht auf einmal erkennen, und schon gar nicht welche Therapien und welche prognostischen Elemente hier eine Rolle spielen. Also das braucht eine entsprechende Begleitung. Das zu erfahren, im Rollenspiel, in der Simulation, ist ganz wichtig. Später dann sollte das in der Realsituation, wenn sie Praktika machen, auch getestet und auf Tauglichkeit überprüft werden. Sie sollen Erfahrungen sammeln. Wir werden beginnen mit einem Logbuch, wo alle Arzt-Patienten-Kontakte, in unserem Fall Studierenden-Patienten-Kontakte, gesammelt und aufgezeichnet werden, und in den Seminaren dann auch reflektiert werden, damit jeder und jede einzelne Studierende die Möglichkeit hat, den Fortschritt zu erkennen, was sie mit ihrer kommunikativen Kompetenz bewerkstelligen können." 

Angehende Mediziner werden also in Sachen Kommunikation und Empathie geschult. Das funktioniert wie gesagt im Seminarraum und ohne Zeitdruck recht gut, im hektischen Klinik-Alltag kommen das ausführliche Gespräch und die Geschichte zwischen Arzt und Patient oftmals viel zu kurz, sagt der Grazer Kollege Hermann Toplak:
"Man vergisst darauf, wie wichtig dieses Element ist. Viele Visiten laufen so ab, dass der Arzt mit dem Patienten am wenigsten redet, dass man zusammen die Krankengeschichte, die Fieberkurve anschaut und es soll schon mal vorgekommen sein, dass man dem Patienten gesagt hat „Ja, Kalium ist gut, sie können morgen nach Hause gehen“. Und dem Patienten sagt das gar nichts, der Patient möchte persönlich angesprochen werden und dafür muss eigentlich immer Zeit sein. Schade ist, dass wir nach wie vor in der Medizin nicht genug Lehrer haben, die das den Studierenden auch toll vorleben. Ich selber hatte das Glück in meiner Karriere, dass ich ein zwei solche Vorbilder hatte, die das gelebt haben, wo die Visite vielleicht ein bisschen länger gedauert hat durch diese Kommunikation, aber ich glaube, das ist sehr sehr wichtig."
Bleibt zu hoffen, dass die nächsten Generationen von Ärzten diese Kompetenzen ganz selbstverständlich anwenden und später wiederum an die Jungen weitergeben werden.

"Zuerst heile mit dem Wort, dann mit der Arznei und zum Schluss mit dem Messer", dieser Spruch wird dem antiken Gott der Heilkunst Asklepios zugeschrieben. Im Laufe der Jahrhunderte gab es Grabenkämpfe zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, heutzutage geht es wohl vor allem um eine Kombination aus allen drei Faktoren Wort, Arznei und Messer. In der Chirurgie hat das Messer freilich eine andere Bedeutung als in der Psychosomatik. Dort steht das Wort im Vordergrund. Auch die Sprache der Mediziner hat sich verändert, es gab Zeiten, da war sie stark metaphorisch, dann wieder objektiv klinisch. Heute sind viele Patienten überinformiert, sie googeln eifrig ihre Symptome und fordern den ihnen gegenübersitzenden Arzt dadurch stets aufs Neue heraus. Wer sich jedoch mit Geschichten und Kommunikation beschäftigt, Techniken beherrscht und Aussagen zu deuten weiß, ist sicherlich im Vorteil, ist Yvonne Wübben überzeugt:
"Es ist natürlich, wenn man auf einer Meta-Ebene über solche Erzählmuster reflektiert, sehr hilfreich, weil sich ja daran wieder bestimmte Erwartungen binden, die sind ja oft unbewusst und man kann sie dadurch eben bewusst machen. Und ich glaube auch für die Patienten selber könnte es hilfreich sein sich zu überlegen, wie stelle ich mir denn jetzt den Verlauf dieser Kommunikation mit dem Arzt konkret vor. Und das bedeutet eben nicht mehr, dass es die Krankheit ist, die eine Geschichte hat, wie in vielen Fallerzählungen der Psychiatrie – die Krankheit fängt an, sie hat einen Höhepunkt, sie hat ein Ende -, sondern es ist eben der gemeinsame Umgang mit der Krankheit, der in einer bestimmten Weise, sagen wir, erzählerisch konturiert wird." 

Zuhören, nachfragen, erzählen - Narrationsforscher Kay Mühlmann ist überzeugt, dass jeder Geschichten erzählen kann. Ob aber gerade Ärzte tatsächlich eine narrative Kompetenz brauchen?
"Also prinzipiell muss man sagen: Eine Geschichte ist eine Geschichte ist eine Geschichte, egal, in welchem Medium sie erzählt wird. Sie wirkt immer. Ist das sinnvoll? Ich glaube schon, dass das sinnvoll ist, weil es ist auch egal, ob es eine fiktionale oder tatsächliche Geschichte ist, Tatsache ist, dass sich das Gehirn Geschichten einfach besser merkt und besser damit umgehen kann und diese Realitäten besser einordnen kann. Das heißt, mit dem emotionalen Hintergrund, den Geschichten immer haben, kann unser Gehirn einfach viel besser umgehen und kann sich Sachverhalte viel besser merken, als wenn ich eine Liste mit analytischen Sachverhalten habe. Natürlich eignet sich Narration jetzt auch nicht für alles, also es ist kein Allheilwundermittel, mit dem man jetzt jede Krankheit heilen kann." 

Die Ansprüche an die Medizin haben sich über die Jahrhunderte verändert. War es früher sogar üblich, dem Patienten so wenig wie möglich mitzuteilen - der Arzt als der Gott in Weiß,  eine absolute und nicht zu hinterfragende Autorität - so gilt nun der Grundsatz, dass nur ein gut informierter Patient ein guter Patient ist, er kennt Möglichkeiten und Risiken, er kann aktiv mitgestalten und wird in alle Entscheidungen miteingebunden. Medizinisch-technisch ist heute bereits vieles möglich, doch dort, wo Ärzte an Grenzen stoßen, ist das Miteinander-Reden besonders wichtig. Die Narration - die Geschichte - die Erzählung: Sie kann dabei helfen.